INTERVIEW
Die deutsche Wirtschaft wird sich massiv verändern in den nächsten Jahren und Jahrzehnten.
Deka Private und Wealth im Gespräch mit Marc S. Tenbieg, Geschäftsführender Vorstand Deutscher Mittelstands-Bund (DMB) e.V.
Mittelständische Unternehmen sehen sich einer Gemengelage multipler Krisen ausgesetzt. Die deutsche Wirtschaft ist 2023 insgesamt leicht geschrumpft. Was macht diese Situation mit den Verantwortlichen in kleinen und mittelgroßen Betrieben?
Eine wirtschaftliche Phase ohne bzw. mit negativem Wachstum zeichnet sich vor allem durch eine starke psychologische Komponente aus. Schrumpfen ist zunächst nichts Positives und bedeutet zwangsläufig, sich mit neuen Entwicklungen auseinandersetzen zu müssen. Das Ende der Pandemie fühlte sich zunächst so an, als seien viele Probleme nicht mehr präsent. Doch Fakt ist, dass sich die deutsche Wirtschaft seit etwa drei Jahren extremen Herausforderungen ausgesetzt sieht. Drängende Fragen treiben die Unternehmen um: Wie schafft man es, auf Lieferengpässe zu reagieren, in der Zinswende Investitionen zu tätigen und mit einer im Zuge der Inflation eingebrochenen Binnennachfrage umzugehen, die sich stets als Garant für die deutsche Wirtschaft erwiesen hat, wenn es im internationalen Handel stockte?
Welche Rolle spielen die Energiekrise und der Transformationsprozess?
Die Energiekrise stellte einen branchenübergreifenden Belastungsfaktor dar. Dennoch ist es Deutschland mit einer großen Kraftanstrengung gelungen, einen alternativen Energiemix aufzubauen und damit Abhängigkeiten zu reduzieren. Das konnte dennoch nicht verhindern, dass das Zusammenspiel von hoher Inflation, stark gestiegenen Energiepreisen, Zinswende, fragiler Weltwirtschaft sowie globalen Verwerfungen mit geopolitischen Machtspielen die deutsche Wirtschaft stark belastet hat. Hinzu kommt, dass die unternehmerische Klima- und Nachhaltigkeitstransformation nun kein (EU-)politisches Lippenbekenntnis mehr ist, sondern Realität wird in Form von konkreten Ausformulierungen und Zwischenzielen. Den Umfang und die Fristen hinsichtlich der Umsetzung dieser Vorgaben haben viele Unternehmen sicherlich unterschätzt.
Welche alternativen Ansätze sehen Sie, um den Wirtschaftsstandort Deutschland zu stärken?
Wir müssen eine neue Standortattraktivität schaffen, die nicht nur auf Subventionierung fußt, sondern mehr auf strukturellen Veränderungen. Dazu zählt die Modernisierung des Staates im Allgemeinen sowie des Steuersystems, der Verwaltung und ihrer Prozesse im Besonderen. Die Bürokratie ist nach wie vor der größte Bremsklotz. Die Investitionen und die Unterstützung von Forschung & Entwicklung ist hierzulande viel zu starr und zu wenig ausgeprägt. Es gilt, an vielen Stellschrauben strukturell anzusetzen, um den Standort attraktiver zu machen. Man muss hinterfragen, ob einzelne Industrien noch eine Daseinsberechtigung im neuen Wirtschaftsland Deutschland haben; die deutsche Wirtschaft wird sich massiv verändern in den nächsten Jahren und Jahrzehnten. Denken Sie zum Beispiel an den großen Strukturwandel im Ruhrgebiet mit dem Ende des Bergbaus: Heute blüht die Region, aber anders als zuvor. Der wirtschaftliche Wandel - ob regional oder überregional - ist eine ganz normale Sache. Wenn wir einen Strukturwandel in Deutschland vorleben wollen, muss im Dialog mit der Industrie erörtert werden, ob neben Subventionen auch die vielen Gewinne, die gemacht wurden, gemeinsam für Investitionen herangezogen werden.
Inwieweit sehen Sie den Spielball auf Seiten der EU, wenn es darum geht, einer Deindustrialisierung entgegenzuwirken?
Wenn in großen Krisen Lösungen gefunden werden müssen, kann dafür nicht immer nur Deutschland zuständig sein. „Große Dinge“ müssen „groß" gelöst werden - aktuell ist dies nur im europäischen Kontext möglich. Es muss mit vereinten Kräften dafür gesorgt werden, dass wichtige Industrien in Europa bleiben, während man sich von einzelnen anderen leider trennen muss. Europa besteht aus vielen, teils sehr heterogenen Staaten. Die Aufgabe liegt darin, unsere europäische Wirtschaft und den großen Zusammenhalt Europas zu sichern und dabei schnellere Entscheidungen zu treffen. Wenn sich Deutschland, Frankreich und Italien als die größten Wirtschaftsnationen in der EU gemeinsam für den Schutz europäischer Schlüsselindustrien einsetzen, treffen zwangsläufig verschiedene nationalstaatliche Interessen und Bedarfe aufeinander, die es in Einklang zu bringen gilt. Wir brauchen starke Staaten, die gemeinsam wichtige Entscheidungen treffen - das kann Deutschland nicht im Alleingang.
Sprechen wir noch über das traditionell enge Verhältnis zwischen Mittelstand und Sparkassen. Der Betreuung von Unternehmern kommt in den Sparkassen seit jeher eine hohe Bedeutung zu. Aus Ihrer Erfahrung und dem Austausch mit Ihren Mitgliedern: Wie gestaltet sich diese Beziehung aktuell?
Sparkassen sind eine traditionelle Finanzinstitutsgruppe, die bis tief in die einzelnen Regionen Deutschlands präsent ist. Sicherlich haben Sparkassen dadurch eine besondere räumliche Nähe zu ihren Kunden. Viele Mittelständler arbeiten schon seit Jahrzehnten mit ihrer Sparkasse zusammen. Das heißt aber nicht, dass ein Unternehmenskundenberater aus einer persönlichen Beziehung heraus persönliche Entscheidungen treffen darf, sondern dass er auch auf blanke Zahlen schauen muss. Nicht nur die Corona-Krise hat zu strikteren Anforderungen zum Beispiel im Risikomanagement geführt.
Die Unternehmergeneration von gestern unterscheidet sich teils deutlich von der heutigen. Welche Herausforderungen ergeben sich diesbezüglich in der Zusammenarbeit zwischen kleinen und mittelständischen Betrieben und den Sparkassen?
Trotz langjährig vertrauensvoll geführter Kundenbeziehungen kann sich in mittelständischen Betrieben im Zuge von Nachfolgeprozessen und auch aufgrund der Notwendigkeit zur unternehmerischen Transformation vieles ändern. Hier ist es Aufgabe des Beraters, Entscheidungen der nachfolgenden Generation und mit ihr möglicherweise neue Geschäftsmodelle besser zu verstehen und nachzuvollziehen. Sparkassen sollten sich diesbezüglich mehr als Geschäftsbegleiter definieren. Unternehmenskundenberater müssen mit neuen Fähigkeiten ausgestattet werden, über den Tellerrand hinausschauen und letztendlich auch innerhalb des eigenen Instituts als Vermittler zu entscheidungsrelevanten Stellen, wie den Kreditabteilungen, auftreten. Sparkassen sind gefordert, sich mit dem jeweiligen Unternehmenskunden und den spezifischen Anforderungen an sein Finanzinstitut zu verändern.
Das heißt, die Traditionsbeziehung muss teilweise neu gedacht werden…?
Unternehmen müssen in der Lage sein zu verstehen, dass eine Sparkasse nicht nur einen Kredit vergibt oder eine Geldanlage anbietet, sondern vor allem auch ein vertrauensvoller Partner ist, an den man sich in allen Belangen wenden kann, indem einzelne Leistungen auch über regionale Lösungsnetzwerke zur Verfügung gestellt werden. Ich finde es sehr wichtig, dass die Sparkassen mit Mittelstands- und Branchentagen regelmäßig Events durchführen, um vertrauensbildende Maßnahmen jenseits der ganz klassischen Finanzprodukte aufzubauen. Daran lässt sich erkennen, dass die Sparkassen als Problemlöser in der Region als wichtiger Ansprechpartner fungieren.
Viele Unternehmer haben es noch gar nicht erkannt, dass sie erheblich mehr Leistungen von Ihrer Sparkasse erwarten können. Das gesamte Spektrum der S-Finanzgruppe ist in den Köpfen häufig nicht so präsent, wie sein sollte. Themenbereiche wie Hilfestellung - auch in Bezug auf den Fortbestand des eigenen Unternehmens - und Netzwerkkompetenz müssen noch stärker herausgestellt werden, damit sich hierfür flächendeckend ein noch stärkeres Bewusstsein bei den Unternehmen entwickeln kann. Dies bietet auf Grundlage einer traditionellen Geschäftsbeziehung Möglichkeiten für eine ganz neue Art der Zusammenarbeit. Sparkassen decken viele Facetten unternehmerischer Fragestellungen ab, wie zum Beispiel das Thema Nachfolge, Arbeitskraftbeschaffung oder Immobilienerwerb und -anmietung. Im Idealfall ist der Unternehmenskundenberater ein Coach, ein Navigator, um unternehmerische Probleme zu erörtern und gegebenenfalls mit zu lösen. Denn anders als bei manchen überregionalen oder international agierenden Kreditinstituten besteht einfach ein Interesse daran, die regionale Wirtschaft zu fördern.
Hintergrundbeitrag zum Thema.
Innovationsanreize setzen, Bürokratie abbauen und Besteuerungen vereinfachen sind genauso mögliche Ansatzpunkte, um den Standort Deutschland im internationalen Vergleich attraktiver zu machen, wie zum Beispiel die finanzielle Unterstützung von Starts-ups in ihrer späten Wachstumsphase.
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Die steuerliche Behandlung hängt von den persönlichen Verhältnissen des jeweiligen Kunden ab und kann künftig auch rückwirkenden Änderungen (z. B. durch Gesetzesänderung oder geänderte Auslegung der Finanzverwaltung) unterworfen sein. Zu den Fragen der steuerlichen Situation in dem konkreten Fall sollte ein Steuerberater oder eine steuerfachkundige Person hinzugezogen werden.
Stand: 05/2023
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